Rund Dithmarschen

Im Juli 2020 hatten wir bereits versucht das sagenumwobene Land im Westen Schleswig-Holsteins auf eigenem Kiel zu umrunden (siehe halbrund-dithmarschen-oder-wer-kocht-eigentlich-an-bord). Auch wenn Dithmarschen strenggenommen keine Insel ist, lässt es sich dennoch mit dem Boot umrunden. Da wir im Gegenuhrzeigersinn gescheitert waren, versuchten wir es einen Monat später ein zweites Mal, dieses mal „richtig“ herum. Das heisst: aus der Elbe in die Nordsee nach Helgoland, dann über die Eider und Nord-Ostseekanal zurück in die Elbe. In diesem Corona-Jahr wollten wir sehen was man in den heimischen Gefilden so entdecken kann, obwohl es nicht direkt Terra Incognita war, sondern Sabines Heimat. Auch ich hatte hier vier Jahre lang gelebt, und so gab es auch viele Freunde zu treffen.

An einem perfekten Sommertag und guten Segelbedingungen ging es elbabwärts. Da wir es mit derselben Tide nicht ganz nach Cuxhaven schafften, entschlossen wir uns in Brunsbüttel zu schleusen und im Brunsbüttler Yachthafen zu übernachten. Was für die meisten ein notwendiger Stopp bei der Überführung Nordsee-Ostsee ist, war für uns ein toller Auftakt unseres kleinen Heimattörns. Bis tief in die Nacht saßen wir bei mediterranen Temperaturen im Cockpit und beobachteten riesige Schiffe aller Art beim ein- und ausfahren aus der Schleuse. Allerdings hatten wir an dem Abend geschätzt unsere jährliche Dosis Feinstaub und Schwefelabgase intus; da wir in Altona direkt an der Elbe wohnen, steht uns aber sowieso eine höhere Dosis zu.

Am nächsten Tag folgte ein ruhiger Törn nach Cuxhaven. Theoretisch hätten wir es in einem Rutsch nach Helgoland schaffen können, dann hätten wir aber westlich von Cuxhaven die Tide gegen uns gehabt und wären sehr spät angekommen. In der Aussenelbe wurde fleißig die Medemrinne zugeschüttet, und dauernd wuselten niederländische Baggerschiffe und Saugbagger knapp am nördlichen Tonnenstrich hin und her. Oft musste man ins Fahrwasser ausweichen und wir dachten, jetzt haben sie es auf uns abgesehen, aber dann drehen sie bei und dümpeln wieder rum. Ob die wasserbaulichen Maßnahmen in der Außenelbe das erhoffte Ergebnis bringen, nämlich die Tiefen des Hauptfahrwassers zu erhalten, bleibt abzuwarten.

Bei leichten östlichen Winden segelten wir nach Helgoland. Dort wollten wir zunächst in den Nordosthafen, wo wir vor ein paar Jahren mit unserer kleinen Lucy einen schönen Platz ergattern konnten. Der letzte Platz erwies sich für Polly als zu klein, und uns wurde wieder bewusst, dass Polly tatsächlich in die Kategorie „Dickschiff“ fällt. Also umkehren und in den Südhafen ins Päckchen. Dort waren die Päckchen mit 5-6 Booten pro Päckchen für Helgoländer Verhältnisse eher gering besetzt. Wir hatten Glück und blieben in unserem Päckchen über die gesamte Liegezeit das äußerste Boot. Da wir zum Landgang unser Dingi benutzten, war es für uns eher wie ankern statt nervigem Päckchenliegen.

Helgoland präsentierte sich bei bestem Sommerwetter von seiner besten Seite. Obwohl coronabedingt viele Cafés und Restaurants nicht geöffnet waren, gab es auf dem Oberland doch einen schönen Biergarten, wo wir auch lecker essen konnten. Dann standen natürlich die  Basstölpel-Kolonien und die Lange Anna auf dem Programm. Laut krakeelen die Vögel, streiten sich und balzen sich an, sehr lustig zu beobachten. Man kann auf wenige Zentimeter an sie ran, sie ignorieren uns komplett. Fast alle Nestmulden sind mit marinem Müll ausgelegt: Reste von alten Fischernetzen. Zu meiner Überraschung erfuhr ich bei Wikipedia, dass es diese Kolonien auf Helgoland erst seit Beginn der 1990er Jahren gibt, und ich fragte mich wo die vorher siedelten (wahrscheinlich auf den Britischen Insel), und ob die Felsen vorher ungenutzt waren… Insgesamt war ich von Helgoland positiv überrascht, denn ich hatte das Gefühl, dass man versucht den 50er-Jahre-Flair etwas zu entschärfen, mit viel Grün und bunten Fassaden.

Nach zwei entspannten Sommertagen auf Helgoland ging es nun Richtung Eider. Wir brachen in kompletter Dunkelheit auf und motorten die 35 Seemeilen bis zum Eidersperrwerk gegen einen leichten Ostwind, aber bei starkem Schwell. Mit auflaufendem Wasser sind der tidenabhängige Hafen Tönning und die flachen Passagen der Tideneider bis zur Schleuse Nordfeld am besten zu bewältigen. Dann ging es weiter durch das enge Fahrwasser flußaufwärts nach Tönning. Schon mittags machten wir bei Hochwasser am Besuchersteg fest. Es war ein sehr schönes Erlebnis, in den Sonnenaufgang zu fahren.

Auf dem Gelände der ehemaligen Dawartz-Werft am Ende des Tönninger Hafenbeckens gibt es eine tolle Hafenbar. Hier kann man in der alten Bootshalle oder auf der ehemaligen Slipbahn über dem Hafen etwas essen und trinken. Es gibt noch viele andere schöne Restaurants am Hafen, die hoffentlich wieder florieren wenn das Thema Corona durch ist. Abends gingen wir mit Freunden essen, was auf den Restaurant-Terrassen trotz Corona möglich war. 

Am nächsten Morgen hatten wir Gäste an Bord für die nächste Etappe nach Friedrichstadt. 9 gemütliche Seemeilen durch eine baumlose weite Landschaft, mit Möwen, grasenden Kühen und badenden Schafen. Es ging durch zwei Straßen- und eine Eisenbahnbrücke, die nach vorheriger telefonischer Anmeldung sehr freundlich und schnell geöffnet wurden. Nach Passieren der Schleuse Friedrichstadt fanden wir im kleinen, etwas morbiden Hafenbecken einen schönen Liegeplatz. Friedrichstadt ist ein kleines Unikum, ein Stück Holland in Norddeutschland. Im 17. Jahrhundert wurde die Stadt von holländischen Glaubensflüchtlingen nach Vorbild ihrer Heimat in die Eide-Trenne Niederung gebaut. Herzog Friedrich III hatte sie eingeladen und ihnen die Freiheit gewährt, ihren Glauben frei praktizieren zu können. In der Folge siedelten sich auch andere verfolgte Glaubensgemeinschaften hier an, deren Kirchen heute noch das Stadtbild bereichern. Für uns war ein Bad im Hafenbecken eine schöne Abkühlung an diesem heißen Tag.

Dann ging es nach kurzer Fahrt eideraufwärts durch die Schleuse Nordfeld in die von der Tide ausgesperrte Binneneider. Abrupt ändert sich das Landschaftsbild von der herben, baumlosen Nordseelandschaft zu einer baum- und strauchumsäumten idyllischen Landschaft eines Binnenflusses, der ohne kaum wahrnehmbare Strömung träge dahinfließt. Nun waren es nur noch wenige Kurven bis zu unserem Ziel Horst auf der Dithmarscher Seite. Hier besuchten wir Freunde die dort ein keines Häuschen direkt an der Eider besitzen, wo abends zusammen mit weiteren Freunden lecker gegrillt wurde. Bis hierhin hatten wir es bei unserem ersten Versuch geschafft, von der anderen Seite kommend. Diesmal passte alles besser, vor allem das Wetter: war es Anfang Juli doch eher herbstlich, hatten wir nun absoluten Hochsommer. Bis tief in die Nacht saßen wir im Cockpit und bestaunten das Landschaftstheater.

Mit Megafon wurden wir Tags darauf zünftig verabschiedet und fuhren weiter die Eider hoch. Angesichts der fast fehlenden Strömung kommt man in der Binneneider flußauf- und abwärts etwa gleich schnell voran. Die Eider schlängelt sich wie eine hingeworfene Leine in engen Schlingen und Kehren, und den Kirchturm von Süderstapel kann man innerhalb weniger Minuten aus allen Himmelsrichtungen bewundern. Dies ist kein Revier für Leute die Strecke machen wollen; hier ist buchstäblich der Weg das Ziel. Ankern kann man am Ufer fast überall, man muss sich nur entscheiden. Mit Bug- und Heckanker liegt man sicher und stabil parallel zum Ufer und stellt kein Hindernis dar; die Binneneider ist fast überall bis zum Ufer 3m tief.  Allerdings muss man das Ufer streckenweise mit "See"-Kühen teilen.

Nach einer ruhigen Nacht vor Anker ging es durch die Straßenbrücke Pahlen Richtung Lexfähre, wo wir wieder mit Freunden verabredet waren. Wenn man dort einen Platz ergattert, ist es einer der schönsten Liegeplätze an der Eider, mit sehr netten Hafenmeistern. 

Am nächsten Tag bahnte sich mit Wind und Regen ein Wetterumschwung an. Wir wollten diesmal direkt im Nordostsee-Kanal übernachten, an der Weiche Dückerswisch, etwa zwei Stunden vor Brunsbüttel. In der durch eine kleine Landzunge geschützten kleinen Bucht kann man an Holzpfählen festmachen. Wie ankern, ohne Landgang, aber mit Blick auf Kanal, Weiche und dicke Pötte. Eine tolle Alternative zu Brunsbüttel, wenn es mit Schleusung und Tide passt.

Am Abend gab es Gewitter und Wolkentheater vom Feinsten, inklusive Wolkenbruch. Sicher festgebunden zwischen Pfählen im Nordostsee-Kanal bei 25 Grad - ein reines Vergnügen.

Die letze Etappe hielt für uns nochmal einen perfekten Segeltag bereit. Als wir mittags in Brunsbüttel schleusten, empfing uns die Elbe mit SW 6, Böen 7. Mit doppelt gerefften Segeln und auflaufendem Wasser ein reines Vergnügen, und Polly kam beim Surfen öfter mal über 10 kn. Furchterregende schwarze Schauerzellen zogen vor und hinter uns durch, doch verfehlten uns knapp. Auf Höhe Grauer Ort nahm der Wind ab, und die letzten Seemeilen mussten wir uns bei Schwachwind über die Ziellinie im Wedeler Yachthafen retten.

Rund Dithmarschen: Für Segler, die Fluß- und Kanalfahrten und Schleusungen nicht scheuen, eine wunderschöne und idyllische Rundfahrt!